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Professor P - Hardrock-Western-Surfsoul

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Hardrockwesternsurfsoul

Professor P.’s Rhythm and Soul Revue

Professor P. begrüßt den Sommer mit frischen Werken von Siena Root, Mighty Mocambos, Roofman, The Cold Stares und Charley Crockett.

Draußen jaulten die letzten Winde des Winters um die Ecken. Feuchtkalte Finger packten uns beim Nacken, trieben uns ins Halbdunkel des Clubs. Der Rambler hatte zur Feier seines Geburtstages einen Deckel eröffnet, auf dem wir fleißig Striche machen ließen. Man schrie sich Unverständliches ins Gesicht, während auf der Bühne eine lokale Hau-druff-Kombo mit leider allerlauteststarker Begeisterung Mittelprächtiges zum Besten gab. Schließlich aber schlurften sie auf die Bühne: drei Zottel unbestimmten Alters, eng geschnittene Secondhand-Hemden am Leib, unter Begleitung einer jungen Frau, die mit dunklen Augen und langem schwarzen Haar aussah wie die Siegerin eines portugiesischen Popnachwuchswettbewerbs. Sie positionierte sich sogleich an der rechts auf der Bühne platzierten Hammondorgel, okay, dachte der Professor, let’s see what’s gonna happen… Außer dem Rambler, der hier zum livemusikalisch untermalten Get-together gebeten hatte, kannte niemand von uns die Band. Siena Root aus Schweden. Psychedelisches vom Polarkreis. Kann man sich gerne auch ohne Vorbildung mit konfrontieren lassen. Und Freunde, ich weiß, dass auch Ihr Euch gerne von unbekannten Formationen das Blut in Wallung bringen lasst, sonst würdet Ihr Euch sicher nicht die Mühen machen, des Professors Litaneien hier im feinen High-End-Kompendium FIDELITY über Euch ergehen zu lassen. Nun also reiche ich Euch die Fackel der Versuchung weiter, auf dass Ihr Euch von den fulminanten Soundmalereien der skandinavischen Psycho-Soul-Vereinigung den letzten Fetzen Frühsommerblues aus den Synapsen blasen lasst. Und merket auf, ein Tipp Eures liebsten Sozialarbeiters in Sachen musikalischer Völker- und Freundesverständigung: Ein Geburtstag vor der Bühne eines namenlosen kleinen Juke Joints ist eine feine Sache. Versucht’s mal. Oder geht an die frische Luft: Siena Root spielen im Sommer/Frühherbst noch auf ein paar Festivals. Kleine Hausaufgabe: Übersetzt den folgenden Satz. Bra band som är mycket roligt …

Siena Root – Revelation

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Nach dem schönen Geburtstagsständchen hat sich der Professor natürlich sofort mit dem aktuellen Werk von Siena Root auseinandergesetzt, Revelation. Ist nicht das erste der Band, man ist ja bereits seit gut 25 Jahren in wechselnden Besetzungen unterwegs. Das Video zum Eröffnungssong „Coincidence & Fate“ zeigt schwedische Landstraßen, gesäumt von roten Holzhäuschen. Man reist herum in einem ururalten Bus aus Woodstock-Tagen, der ansonsten zumeist das soziale Zentrum jener Kommune in den schwedischen Wäldern bei Stockholm bildet, in der die Bandmitglieder leben und arbeiten. So tourt man also hippiekonform durch die Lande, inklusive Fred-Astaire-Poster an der Wand und Holzofen in der Busküche. Wurde aber auch schon einmal in Flensburg beim Grenzübergang aus dem Verkehr gezogen beziehungsweise zurück nach Skandinavien geschickt, deutsche Autobahnen und schwedischer Rockkommunen-Bus sind offenbar nicht kompatibel. Aber dieser erste Song, liebe Leserschaft, der beamt einen zurück in die sechziger Jahre, selbst wenn man da noch gar nicht im Hier und Jetzt weilte. Saftiges Orgelintro, dann Drums-plus-Gitarre-plus-Bass-Gewitter, schließlich biegt der Song auf eine etwas ruhigere Psychedelic-Landstraße ein, Bass vorweg, dann gesteuert von Sängerin Zubaida Solid, jene optisch 16-Jährige, der aber durch schamanistische Verirrungen der Geist von Janis Joplin in die Stimmbänder geraten scheint. Das Ganze geht als behänd wabernder Heavy- oder Kifferrock-Soul durch. Songs wie „Professional Procrastinator“ und „No Peace“ verschmelzen Psychedelic-Folk, Stoner Rock und Schwedensoul zu einem unbedingt bewusstseinserweiternden Bullerbü-Blues. Check it out.

Label: Atomic Fire Records
Format: CD, LP, DL 24/44

The Mighty Mocambos – Scénarios

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Das eine oder andere Déjà-vu kann ich Euch auf diesen Seiten unserer kleinen Rhythm-and-Soul-Revue nicht ersparen, verehrte Freunde der leichten bis mittelschweren Tanzmusik. Zu sehr schlägt des Professors Pumpe für regionale Rhythmusgruppen. Wieder einmal verlangt mein Lehrauftrag in Sachen musikalische Horizonterweiterung, den Scheinwerfer der Soulsemantik auf das Wirken der Mighty Mocambos zu richten. Jener Funkvereinigung, die circa 800 Meter Möwenflug entfernt von meiner alten Shotgunbude im hauseigenen Studio und Plattenlabel wunderbare Werke zusammenzaubert. Dutzende Singles und mehrere Alben wurden hier bereits eingespielt und auf Vinyl gebannt, bisweilen auch begibt man sich auf Exkursion rund um den Globus und lässt diese oder jene Aufnahme von renommierten Labeln wie den New Yorker Plattenfirmen Truth & Soul oder Big Crown aus dem Daptone-Kosmos in die Welt tragen. Bekanntheit vor allem in DJ-Kreisen erlangte die Band rund um den Hamburger Gitarristen Björn Wagner mit ihren Interpretationen von Grandmaster Flashs „The Message“ und verschiedenen Filmsoundtrack-Hits, etwa Harold Faltermeyers „Theme From Beverly Hills Cop“. Letzteres findet sich auch auf der bereits im vergangenen Herbst veröffentlichen Liveplatte Scénarios, die wegen unerklärlicher DHL-Umwege erst jetzt den Weg in meinen Schoß fand. Jetzt, da wir zurückschauen und der Pandemie leise Servus hinterherseufzen, kommt dieses Werk gerade recht. Einige Aufnahmen entstanden kurz vor dem ersten Lockdown bei einem Konzert im Vintage-Plattenladen Groove City in der hanseatischen Heimat der Band, darunter das vibrierende „St. Pauli Second Line“, andere wurden live bei einer Breakdance-Battle in Potsdam mitgeschnitten, darunter der explosive Faltermeyer-Funk. Schließlich spielten die Mocambos ganz ohne Publikum, und das aus melancholisch-meditativer Corona-Entrückung ausschließlich auf Saiteninstrumenten. Als Ende 2021 erste Lockungen der Virus-Maßnahmen für neue Freiheiten sorgten, spielte man vor restlos fanatischen und ausgehungerten Funkfans in München, eine Afrobeat-Version von J.J. Cales Folkblues „Carry On“, den 80er-Jahre-Gassenhauer „Let The Music Play“ von Shannon und das extra für jenes Konzert komponierte „Munich Psycholympics“. Insofern ist Scénarios nicht nur eine feine Platte, sondern auch ein Stück unbedingt tanzbarer Pandemiekulturhistorie.

Label: Mocambo Records
Format: LP

Roofman – Still The Mess I Was

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Und wir bleiben in heimischen Gefilden. Thema: Roofman. Bandprojekt des niederländischen Songschreibers Thijs van der Meulen. Der stammt eigentlich aus dem malerischen Windmühlendörfchen Ermelo am Ijsselmeer, wo man aber offenbar als Musiker nur bedingt Karriere machen kann. Es verschlug ihn nach Hamburg (ja, ja, ich kann nichts dafür), wo er für sein erstes Album vom Label Clouds Hill unter Vertrag genommen wurde. Und das zeigt, welch guten Geschmack man in der Hauptstadt der Rollmöpse sonst so hat: 60 Songs schrieb Thijs van der Meulen während der Pandemie, elf fanden den Weg auf Still The Mess I Was, und das sind, wie soll ich’s sagen, ohne zu regionalpatriotisch und glückshormonüberlaufen zu wirken, ach, scheiß drauf, ich lass mich von nix & niemandem am ungefilterten Herausposaunen begeisterter Superlative hindern: fuckin’ brillante Songs. Erst beim Studium der Rückseite des Plattencovers wurde der Professor überhaupt gewahr, dass dieses Werk gleich um die Ecke vom heimischen Lagerfeuer eingespielt worden ist. Als Produzent wirkte Johann Scheerer, Gründer der komplett analog gestalteten Studios, Sohn des Literatur- und Sozialwissenschaftlers Jan Philipp Reemtsma und Autor des jüngst verfilmten autobiografischen Romans Wir sind dann wohl die Angehörigen, in dem er die Entführung seines Vaters im Jahr 1996 aufarbeitete. So, dies nur aus der Rubrik „Was der Professor sonst so weiß“. Auf jeden Fall gebührt Johann Scheerer der grenzenlose Dank meiner Wenigkeit, da er Roofman – van der Meulen umgab sich für die Platte mit Drummer, Gitarrist und Bassist – den Raum und die entsprechenden Mikrofone zur Entfaltung bot. Ach, again: Was die eigentlich für Musik spielen? Filigranen Bombastfolk, würde ich das mal umschreiben. Hört hier hinein: „42 Weekends“ (kraftvolles Folk-Pop-Opus, in der erschreckend authentischen Stimmfarbe Tom Pettys eingesungen, mit hymnen- und hitverdächtigen Refrain-Breaks), „One Drop“ (einer dieser songwritermäßigen Glücksfälle, da das kosmische Karma zur rechten Zeit in den passenden Künstler fährt. Leider ist die Welt ungerecht, sodass spärlich kreative Poperzeuger wie The Weeknd oder gar Coldplay die Arenen füllen, während Roofman zwischen Hollands und Hamburgs Kleinstclubs pendeln), „I Would Rather Leave Me Than Leave You“ (fassungslos machende feine Ballade, getragen von Piano, Schlagwerk und mild summendem Bass, zart und zugleich druckvoll, van der Meulen singt diesmal wie der junge Neil Young. Schön.)

Label: Clouds Hill
Format: CD, LP, DL 24/44

The Cold Stares – Voices

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Jetzt ist es Zeit, in die Ferne zu schweifen. Pedal to the metal. Roadtrip auf dem Highway der Träume, durch den Staub der inneren Savanne. Lehnt Euch zurück, folks, habt das Lenkrad locker in der Hand. Am Horizont verschwimmen Himmel und Land zu einem flirrenden Nichts. Aus den Boxen wehen stampfende Rhythmen. Eine Gitarre jault dreckig, Bass und Schlagzeug wummern wilde Beats auf den Asphalt. Ein Typ singt mit Saft und Kraft vom Leben in einer Stadt, die nichts zu bieten hat, aber: „I tried to leave but my car won’t start and I got nothing but the blues…“ So geht’s los mit dem neuen Album von The Cold Stares, Voices. Der Einstiegssong „Nothing But The Blues“ fräst sich ohne Mitleid unter den Skalp, und das ist gut so. Der Professor fühlt sich in die Weiten der Vergeigten Staaten von B-Merika verschlagen, die innere Immigration muss ja nichts Schlechtes sein. Ein eingängiges Gitarrenriff umtanzt mit wilden Moves die pointiert prügelnden Drums, die Mutter verlässt die Familie, der Vater sagt dem Sechsjährigen: Junge, du musst es allein schaffen … Das ist postmoderner Bluesrock, wie ich ihn liebe. Kompromisslos auf die Zwölf. Dargeboten von einem Trio, das 15 Jahre lang als Gitarren-Drum-Duo durch die Welt groovte, bevor man sich jetzt für das sechste Album einen Bassisten gönnte. Aus Madisonville in Kentucky stammt die Band, eine Kleinstadt im mittleren Osten des Landes, einst für Tabakanbau und Kohleabbau bekannt. Mittlerweile weilt man 80 Kilometer weiter im Norden, in Evansville, Indiana, der 249-größten Stadt der USA (118 000 Einwohner). Warum ich mit eher schwachen Superlativen aufwarte? Magisches kann aus Middle-of-Nowhere entwachsen. Abgemischt wurde das Album von Mark Needham, der auch schon Fleetwood Mac, Elton John, The Killers und Imagine Dragons den passenden Sound verpasste. Das Ganze pendelt zwischen Hardrock und Blues, findet dabei die innere Balance in kraftvollen Stoner-Rock-Arrangements und einer bisweilen schönen Mischung aus Hardrockwesternsurfsoul.

Label: Mascot Records
Format: CD, LP, DL 24/44

Charley Crockett – The Man From Waco

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Und wir bleiben in der Welt des treibenden Tumbleweeds, der staubigen Trucks und der sonnenverblichenen Cowboyhüte. Eine der größten Entdeckungen der vergangenen Jahre aus strictly persönlicher Perspektive des Professors ist Charley Crockett. Sein berührendes Album Welcome To Hard Times, produziert in postmodern klingendem Vintagesound von Mark Neill (für weitere Infos zu diesem Soundgenie aus den Südstaaten: siehe das Interview mit Nick Waterhouse in dieser Ausgabe von FIDELITY), habe ich Euch vor einem guten Jahr vorgestellt. Nun also The Man From Waco, das elfte Album des Texaners in nur acht Jahren. Western-Soul, Country-Blues, Texas-Swing – nennt es, wie Ihr wollt. Crockett hat seinen ganz eigenen Stil gefunden, in dem sogar funky Gitarrenriffs, Stax-Bläser und Texmex-Trompete ihren Platz finden. Der Mann hat eine bunte Biografie, die wohl erst zu dieser genreüberschreitenden Selbstfindung führte: Aufgewachsen in einem Trailerpark mit alleinerziehender Mutter und einem Sack voll Geschwister, Sommerferien bei seinem Onkel in New Orleans verbracht, eine alte Gitarre aus dem Pfandhaus erstanden und sich Spiel und Gesang selbst beigebracht, Curtis Mayfield gehört, auch Nina Simone, als Straßenmusiker und Hobo in Güterzügen durchs Land gerauscht, irgendwie in Paris, Spanien, Marokko gelandet, in den USA dann im Knast wegen Marihuana-Vergehen, ab 2015 dann Karriere als Musiker mit Blues, Soul und Country im Blut. Charley Crockett ist zudem, das interessiert den Historiker im Portfolio der multiplen Persönlichkeiten des Professors, ein entfernter Verwandter von Davy Crockett, der sich im 18. und 19. Jahrhundert einen Namen als Wildwest-Pionier machte, als „King of the Wild Frontier“, was man rückblickend eher mit skeptischem Blick betrachten könnte, aber nicht sollte, denn Mr. Crockett senior setzte sich als gewählter Vertreter des US-amerikanischen Kongresses ab 1827 für die Rechte der Ureinwohner ein, als Präsident Andrew Jackson diese mit seinem Indian Removal Act immer weiter gen Westen treiben ließ … Hört hier hinein: „Cowboy Candy“ (Akustikgitarre und Pedal Steel tänzeln zu fein swingendem Schlagwerk und schüchtern begleitendem Standbass), „I’m Just A Clown“ (Soul-Bläser-Sektion und funky Grundrhythmus im Country-Gewand mit sanftem Rock’n’Roll-Feel) und „Tom Turkey“ (ein Kleinod: Crockett wandelt hier den Bob-Dylan-Song „Turkey II“ um, der bei den Aufnahmen zum Soundtrack von Pat Garrett & Billy The Kid entstanden ist, aber nur auf obskuren Bootlegs zu finden ist. Dabei entsteht ein funky Country-Blues mit feinen Stax-Soul-Anleihen. Der Professor zitiert dazu, komplett aus dem Zusammenhang gerissen, ein gängiges Western-Bonmot: That’s the way the cookie crumbles!).

Label: Sons of Davy
Format: CD, LP, DL 24/96

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