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Reed Muse 3C - Auch in natura eine eindrucksvolle Erscheinung: Reed Muse 3C. Im Inneren des Edelstahl-Chassis verbirgt sich ein innovativer Hybrid-Antrieb, die beiden Armausleger mit drehbaren Basen akzeptieren Tonarme bis 12 Zoll

Test Reed Muse 3C Plattenspieler

Reed Muse 3C – Treibgut

Mit ihren Tonarmen hat sich die kleine litauische Manufaktur Reed binnen weniger Jahre in die analogen Top Ten hochgehangelt. Der nächste logische Schritt ist ein Laufwerk. Aber nicht irgendeines.

Konfrontiert man eine weit verbreitete Internetsuchmaschine mit „Reed“ und „Muse“, landet man auf spannenden Seiten, die sich mit dem popkulturellen Unter- bzw. Hintergrund der Sechziger und Siebziger befassen, und bei einer ambivalenten Figur namens Rachel, der transsexuellen Muse Lou Reeds in den Jahren der Factory. Im Dunstkreis Andy Warhols sammelten sich damals gestrandete Existenzen, deren Lebensstil die Freiheiten dieser Zeit und dieses Ortes bis zur Gänze ausreizte. Rachel schaffte es sogar auf einige Plattencover Reeds, unter anderem ist sie auf den Polaroids der berühmten Best of-LP zu sehen, bevor sie wieder in der Namenlosigkeit verschwand. Übrigens hat auch Candy von Long Island aus „Walk On The Wild Side“ ein reales Vorbild. Sie hieß ursprünglich James Slattery.

Vorsicht Holzhammerüberleitung: Der Reed Muse 3C, wie er vollständig heißt, hadert auch mit seinem Dasein, er möchte ebenfalls nicht einfach nur ein weiterer Plattenspieler mit Riemen sein, sondern variabel, auf mehr als nur einem Weg nutzbar. Mit wenigen Handgriffen ist der von Natur aus reibradgetriebene Dreher auf Riemenantrieb umgebaut, was ihn zum ersten, und meines Wissens nach einzigen, echten Hybrid-Plattenspieler macht (es gab – von Braun etwa – kombinierte Konstruktionen, wo das Reibrad von einem Riemen angetrieben wurde, aber das ist nicht das Gleiche). Das erfordert übrigens kein besonderes handwerkliches Geschick: Schraube rein, rechtsrum drehen, und nach links, um sie zu lösen – mehr muss man dafür nicht wissen. Die Technik des Reibrads oder auch Treibrads, beide Termini sind gebräuchlich, stammt aus den frühen Tagen der Analogzeit und erfährt derzeit eine Renaissance. Wer mit alten Garrards vertraut oder mit einem Lenco aufgewachsen ist, darf den nächsten Absatz überspringen.

Als die Schellackplatte der Vinylscheibe Platz machte, war der Reibradplattenspieler schon da. Die Technik ist jedoch nicht auf Plattenspieler begrenzt, sondern findet von Traktoren über Seil- bis zu Achterbahnen vielfältige Anwendungen; ganz aktuell beispielsweise bei Elektrofahrrädern. Bei diesem Antriebsprinzip wird die Motorkraft mittels Gummirädern oder -walzen, die oft direkt auf der Motorachse stecken, auf den Plattenteller übertragen. Das bedingt einen höheren Wirkungsgrad des Drehmoments als bei Riemenantrieb, was wiederum dazu führt, dass Reibraddreher oft besonders knackig und dynamisch klingen. Allerdings werden so auch Vibrationen des Motors stärker übertragen und kleinste Unregelmäßigkeiten des Reibrads, wie sie als Standschaden oder schlicht Alterungsfolge häufig auftraten, schlagen sich in hörbarem Rumpeln nieder. Bald rutschte der Reibradantrieb in die Sparte der Billig-Plastikdreher, wo er bis etwa 1980 eine zu Recht wenig beachtete Existenz fristete. Dabei sind gut konstruierte und regelmäßig gewartete Reibradlaufwerke durchaus in der Lage, High-End-Riementrieblern bezüglich Laufruhe und Drehzahlkonstanz die Stirn zu bieten. Ich sage nur: EMT.

Bereits unter den ersten Reibradlern Mitte der fünfziger Jahre fanden sich bemerkenswerte Modelle aus den Warschauer-Pakt-Staaten, wo HiFi eine große Rolle spielte. Vermutlich war die Anlage aus Restek-Elektronik, Backes-und-Müller-Lautsprechern und einem Transrotor 1989 ein wohlüberlegtes Gastgeschenk Kohls an Gorbatschow, und sogar Wladimir Putin gilt als Audiophiler. Aus dieser HiFi-Tradition kommt auch Vidmantas Triukas, der Reed-Gründer. Schon 1987 präsentierte er sehr erfolgreich eine komplett in Eigenregie entworfene und gebaute Kette in Moskau, doch mit Öffnung des Ostblocks wandte sich der Ingenieur anderen Aufgaben zu. Offenbar hat ihn die Begeisterung für High End aber nicht verlassen. 2007 etablierte Triukas seine eigene Firma: Reed. Angesichts seiner Vorgeschichte könnte ich mir vorstellen, dass der Muse nicht die letzte innovative Überraschung aus dieser Manufaktur bleibt.

Was an dessen preisgekröntem Design Assoziationen mit einem Dampfkochtopf weckt, ist das Material Edelstahl. Im Laufwerksbau ist Stahl eine sehr ungewöhnliche Wahl. Wenn man sich vorstellt, wie Indianer ihr Ohr aufs Gleis legten, um ein weit entferntes Stahlross zu hören, kann man nachvollziehen, warum. Dennoch erweckt der Muse den Eindruck, das beruhe auf einer sehr bewussten klanglichen Entscheidung, doch dazu in Kürze mehr. Ein Blick unter die dünne Tellermatte offenbart, dass der eigentliche Teller aus POM besteht und lediglich von einem Edelstahlband eingefasst wird. Die nicht besonders dicke oder schwere Acetal-Scheibe liegt auf einem massiven Subteller aus Edelstahl auf, den man genau genommen als Teil des Lagers betrachten muss, da er sich nicht einfach abheben lässt. Das Tellerlager ist eine beeindruckende Erscheinung, schade, dass es geschlossen ist und von Redakteuren nicht geöffnet werden darf. Es handelt sich um ein invertiertes Gleitlager inklusive Lagerkugel zwischen Spiegel und Edelstahldorn. Solche industriellen Metall-Polymer-Verbundgleitlager findet man selten in Plattenspielern, obwohl sie fast ideale Eigenschaften aufweisen. Sie sind für verhältnismäßig niedrige Gleitgeschwindigkeiten spezifiziert und lebenslang wartungsfrei. Üblicherweise wird dafür auf eine Sinterbronze-Gleitschicht eine Laufschicht aus PTFE aufgebracht. So ein Lager sollte nach einer gewissen Einlaufphase verschleißfrei seine Runden drehen. Dieses sehr stabil wirkende Konstrukt lässt den großen Aufwasch, der oft um Tellerlager veranstaltet wird, fast absurd erscheinen. Überspitzt formuliert: Das letzte Mal, als es die Menschheit vor ein Problem stellte, einen Bolzen langsam in einer Buchse rotieren zu lassen, ist jemandem die Klinge seines Faustkeils gebrochen. Neun von zehn Plattenspielern verfügen über ein simples Lager, dessen zwei Hälften der jeweilige Entwickler natürlich so bemessen hat, dass sie spielfrei ineinanderpassen. Ein gewisser Erfinderstolz ist dann schon angebracht, das will ich nicht bestreiten, aber es spricht auch nichts dagegen, sich auf bewährte Industriestandards zu verlassen.

Umlaufend in den Teller integriert, gibt ein Lochband zunächst ein Rätsel auf, das sich erst löst, sobald man den Muse aktiviert. Die Tellerperforation bildet eine von hinten grün beleuchtete Stroboskopscheibe. Witzige Idee, allerdings unterliegen die beiden Gleichstrommotoren im Chassis einer quarzgeregelten PLL-Schleife, und somit gibt es auch keine Möglichkeit der manuellen Geschwindigkeitsjustage. Man kann also nur hoffen, dass die grünen Lichter still stehen. Beim Testmuster standen alle Punkte unverrückbar wie die grüne Welle einer langsam vorbeirauschenden Ampelkette, haben ihr gegenüber kurz- bis mittelfristig aber einen gewichtigen Vorteil: Man kann die Beleuchtung des Muse abstellen. Im rechten der beiden Armausleger, die aussehen wie Tragflächen eines Doppeldecker-Stealth-Jets, befindet sich ein sehr empfindliches elektronisches Inklinometer, das hilft, den Muse über drei Schraubfüße mit Feingewinde auszurichten: Sobald alle vier LEDs des Neigungsmessers erloschen sind, steht das Laufwerk in der Waage. Auf dem anderen Armausleger, die beide Tonarme bis zwölf Zoll in drehbaren, exzentrisch gebohrten Basen aufnehmen, befinden sich Taster für 33, 45 und 0 Umdrehungen.

Im Stillstand hebt ein Elektromagnet die beiden Reibräder vom Subteller ab, um genau oben erwähnte Standschäden zu verhindern. Kein notwendiges Feature im Alltag, doch die Erben werden sich in 40 Jahren freuen, wenn sie einen verstaubten vermeintlichen Dampfkochtopf vom Speicher holen. Das Anlaufen geschieht mit kurzzeitig vermindertem Drehmoment, was die weichen Gummiräder vor zu schneller Abrasion bewahrt. Zwei sich gegenüberstehende Reibräder sind schon eine gute Idee, um horizontale Kräfte aufs Lager zu egalisieren, aber es wird noch besser: Sie besitzen außerdem minimal unterschiedliche Durchmesser. Das sorgt dafür, dass sich das unvermeidliche Polruckeln der beiden Gleichstrommotoren unregelmäßig verteilt, statt sich aufzuaddieren. Sehr durchdacht! Aber auch komplex bezüglich der von einem Schwingquarz geregelten Motorelektronik, die ja überdies bei Bedarf auch noch den Wechsel des Antriebsprinzips meistern muss. Beachtlich! Um auf Riemenantrieb umzurüsten, müssen lediglich die Reibräder durch Pulleys ersetzt sowie die beiden Ausleger, in denen die Motoren hängen, fixiert werden. Das ist so simpel und man macht dabei eine so ausgesprochen professionelle Figur, dass es sogar Spaß macht.

Selbstverständlich habe ich die Gelegenheit dieses Laufwerks-Tests genutzt, mich auch mit den passenden Reed-Armen zu beschäftigen. Das Setup entspricht mit dem 3P-Zwölfzöller für rund 3500 Euro und dem etwa 2500 Euro teuren 2A-Neunzöller dem Vorführaufbau des Ultraudio-Vertriebs durch Andrejs Staltmanis. Die Dualität des Muse findet in den beiden Armen ihre Fortsetzung: Der lange 3P hat eine kuriose, ich nenne sie mal dreizackige Einpunktlagerung, bei der drei stecknadeldünne Stifte in Mulden greifen, wo sie von Neodymmagneten gehalten werden. Im Zuge der Armmontage erscheint die Fragilität dieser Anordnung bedenklich, in der Praxis jedoch funktioniert das Gebilde ganz hervorragend – da dürfen ohne Bedenken auch Einsteiger-Wurstfinger ran. Genauso wie beim Neunzöller, der von einem feinmechanischen kardanischen Kunstwerk mit Saphirlagern geführt wird, das während der Bedienung ein selten erlebtes inneres Hochgefühl auslöst, dessen Ursache im allgemeinen Qualitätseindruck liegt. Ich stelle mir vor, dass sich ungefähr so die H-Schaltung eines Maseratis anfühlt. Die wichtigsten Parameter der analogen Abtastung können an den Reed-Armen „on the fly“ justiert werden. Ja, auch der Nadel-Azimut, und zwar nahe des Drehpunkts über ein Feingewinde (beim 2A nur optional). Über die Arme gäbe es – von der Holzauswahl bis zu dem auf Rubinen gelagerten Antiskating – noch so viel zu erzählen, dass ich über einen gesonderten Test nachdenke. Sowohl beim Muse als auch angesichts der beiden Arme ist eine offenbar nicht zu bändigende Lust an Feinmechanik zu spüren. Ohne Vidmantas Triukas zu kennen, bin ich überzeugt, er lebt nach dem Motto: Wieso einfach, wenn man hier und da noch eine Komplikation einbauen kann und mit noch mehr beweglichen Teilen ans Ziel kommt. Aus dem ganzen Setup spricht die pure, fast kindliche Freude über das wohlkonstruierte mechanische Zusammenwirken der Dinge.

Während der Wochen des Hörtests kristallisierte sich die nahezu perfekte Ausbalanciertheit des Muse in Verbindung mit den beiden Tonarmen als charakterisierende Eigenschaft heraus. Meine Empfehlung lautet daher eindeutig: Die Arme und das Laufwerk von Reed gehören zusammen. Üblicherweise fühlen sich Laufwerkshersteller irgendwann in der Pflicht, auch einen eigenen Tonarm anzubieten, aber hier verhält es sich umgekehrt. Der Muse wurde für die Tonarme geschaffen. Am vortrefflichsten hört man das bei flächigen Sounds wie beispielsweise Becks „The Golden Age“, wenn das Laufwerk für fesselnde Präsenz sorgt und das Holz der Arme ganz leicht, angenehm und warm koloriert. Nicht, dass es jeweils für sich betrachtet eine Tendenz ins Extreme gäbe, aber in Verbindung gehen Dreher und Arme Hand in Hand, ergänzen sich zum Dreamteam. Das funktioniert nur so gut, weil sie keine Schwächen des Partners ausgleichen müssen, sondern in der Summe ihrer Eigenschaften über sich hinauswachsen. Dieser Eindruck bleibt übrigens auch beim Riemenantrieb bestehen, der lediglich eine größere Abbildung, etwas längeres Ausklingen und ein sanftes Verwischen des Fokus im Grenzbereich nach sich zieht. Mich spricht der pointiertere Reibradbetrieb mehr an, aber „gezogen“ klingt der Muse nach großem Masselaufwerk mit majestätischem, getragenem Spielfluss.

Je nach Musik lassen sich all diese unterschiedlichen Einflüsse sogar extrapolieren. Streicher etwa oder ganz konkret die Querflöte Hubert Laws’ zu Beginn von „Fire And Rain“ (Afro Classic) klingen wunderbar eingängig, kokettieren mit ihrer greifbar wirkenden Aura und zaubern Gänsehaut auf Unterarme, was man in diesem Fall der liquiden Geschmeidigkeit des 3P gutschreiben muss, der – typisch Unipivot – noch ein bisschen freier und unbegrenzter spielt als der etwas stämmigere, kardanische 2A (den ich nichtsdestotrotz ganz besonders ins Herz geschlossen habe). Auf der anderen Seite beweist der Muse seine St(r)ahlkraft bei härteren Herausforderungen mit impulsiven, sehr lebendig wirkenden und rhythmisch mitreißenden Akzenten. „Smalltown“ vom „Warhol-Album“ Songs For Drella ist nicht mehr als ein kleiner, musikalisch nicht besonders aufregender, eher eintöniger Song, aber das kongeniale Duo Reed/Cale schafft es, ihm Spannung zu verleihen, den Horror der Kleinstadt mithilfe einer verrostet klingenden, trockenen E-Gitarre und nur ein paar harten Klavierakkorden zu visualisieren. Sagte ich Reed/Cale? Ich meine natürlich Reed/Reed: Muse 3C und 3P bzw. 2A halten die Spannung aufrecht und entlocken dem fast 30 Jahre alten Album neue Aspekte. Eine Art Gipfeltreffen amtierender und zukünftiger Klassiker. Fazit: Unentschlossenheit zeugt nicht notwendigerweise von Charakterschwäche, sondern kann auch für Neugier und Spaß an Vielfalt stehen.

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Reed Muse 3C
Funktionsprinzip: Reibrad- oder riemengetriebener Plattenspieler
Geschwindigkeiten: 33, 45 U/min
Besonderheiten: Hybrid-Antrieb (Reibrad oder Riemen), inklusive Acoustical Systems Smartractor Einstelllehre, integrierte Ausleger für 2 Tonarme bis 12 Zoll, integrierter Neigungsmesser, LED-Stroboskop
Ausführung: Edelstahl mit schwarzen oder weißen Armauslegern
Maße (B/T/H): 55/42/24 cm
Gewicht: 25 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 15 900 €

 

Ultraudio, Audiovertrieb Andrejs Staltmanis, An der Meerwiese 23a, 48157 Münster, Telefon 0251 211017

 

www.ultraudio.de

 

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