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Albumdoppel: Donald Byrd / Blue Note Revisited

Donald Byrd / Blue Note Revisited

Albumdoppel: Elegante Stromlinie

Donald Byrd / Blue Note Revisited

Es gibt nicht nur Coverversionen von Songs. “Gecovert” werden auch die Plattenhüllen. Das gecoverte Cover: Ist es witzige Anspielung, respektvolle Verehrung, Parodie – oder hat es einen tieferen Sinn?

Es war 1955, als die Karriere von Donald Byrd Fahrt aufnahm. Der junge Trompeter wurde Mitglied bei Art Blakeys Jazz Messengers und machte auch sein eigenes Debütalbum. In den nächsten fünf Jahren folgten rund 20 (!) weitere Platten mit ihm als Bandleader oder Co-Bandleader und noch einmal etwa doppelt so viele Sideman-Alben. Donald Byrd gehörte zu den drei, vier besten Trompetern des Hardbop, einer Stilrichtung, die wegen ihrer Gospel- und Spiritual-Anklänge gelegentlich auch „Pulpit Jazz“ oder „Gospel Jazz“ genannt wurde. Diese Verbindung zur schwarzen Kirche war Donald Byrd immer wichtig. Gelegentlich schrieb er Stücke mit Titeln wie „Amen“ oder „Pentacostal Feel“ („Pfingststimmung“). Sein Vater war Methodistenprediger. Das Album A New Perspective schließlich sollte die Verbindung zur Religion noch vertiefen. Byrd ergänzte hier sein hochkarätiges Hardbop-Sextett mit einem kleinen gemischten Gospelchor.

Die Platte, die Anfang 1964 erschien, verkaufte sich nicht schlecht. Noch 2017 zählte das Magazin Pitchfork sie zu den 200 besten Alben der gesamten 1960er Jahre, und zwar aller Genres. Das heitere „Elijah“ hat Byrd seinem Vater gewidmet, dem Prediger. „Beast Of Burden“ ist eine Hommage ans biblische Maultier – in einem geduldigen, schläfrigen Slow-Blues-Feeling. „Black Disciple“ ist ein Gruß an den angeblich Dunkelhäutigen unter den drei Heiligen Königen. Die übrigen zwei Stücke schrieb Duke Pearson, von dem auch alle Chorarrangements stammen. „Cristo Redentor“ spielt auf die Christusstatue über Rio de Janeiro an, „Chant“ hat bluesige Untertöne. Auf religiöse Texte hat Byrd allerdings verzichtet – der kleine Chor begnügt sich mit Silbengesang (dududuh, dadadah). Das ähnelt häufig den Bläserriffs einer Bigband.

Es war Byrd wichtig zu betonen, dass die Platte nicht als Gag gemeint war. „Mit diesem Album ist es mir ernst“, sagte er. „Wir begegnen der religiösen Tradition mit Respekt und großem Vergnügen.“ In der Tat wirken die Vokalarrangements so ehrlich und bodenständig, dass nie der Verdacht aufkommt, die Stimmen zielten auf kommerzielle Stromlinienförmigkeit – ganz anders etwa als das Frontcover.

Albumdoppel: Donald Byrd / Blue Note Revisited

Die Idee, Byrds gospelige „neue Perspektive“ mit dem Design eines Sportwagens zu verdeutlichen, ist zumindest verblüffend. Dazu muss man wissen: Sowohl Donald Byrd als auch Reid Miles, der Gestalter und Fotograf der Plattenhülle, waren absolute Autonarren. Auf rund einem halben Dutzend seiner Plattencover ist Byrd mit einem schnellen Fahrzeug zu sehen. Auch auf Blue-Note-Plattenhüllen einiger Kollegen – Hank Mobley, Stanley Turrentine, Jimmy Smith, The Three Sounds – sah man Fotos von schnellen Autos. Der Jaguar E-Type auf der Hülle von A New Perspective gehörte übrigens einer Freundin von Donald Byrd. Er selbst fuhr damals einen Shelby Cobra.

Black Music und das Protzen mit Luxus: Das gefiel natürlich den Hip-Hoppern. Der Rapper Tone Lōc imitierte Byrds Albumcover schon 1989 für seine Debütplatte Lōc-ed After Dark – exakt 25 Jahre nach A New Perspective. Da war noch gar nicht abzusehen, welch große Rolle Jazz-Samples und Jazz-Remixe bald für die Hip-Hop- und House-Szene spielen sollten. Gerade Donald Byrd wurde ein wichtiger Verbindungsmann zwischen Jazz und Hip-Hop. Sein Erfolgsalbum Black Byrd (1973) galt als Vorläufer der neueren Black Music, er selbst wirkte persönlich bei Hip-Hop-Projekten mit, etwa bei Gurus Jazzmatazz-Formation. Folgerichtig sind zwei seiner Stücke auch auf der Compilation Blue Note Revisited vertreten, die genau dieser modischen Hip-Hoppisierung des Jazz gewidmet war. DJ Spinna und DJ Cam haben zwei Stücke von Byrd (aus seiner kommerziellsten Phase Anfang der 1970er Jahre) mit elektronischen, instrumentalen und vokalen Zutaten auffrisiert. Ähnliches passiert hier ausgewählten historischen Blue-Note-Aufnahmen von Grant Green, Bobby Hutcherson, Brother Jack McDuff, Wayne Shorter oder Horace Silver. Unter den Remixern waren nur die Namhaftesten des Tages: 4 Hero, Bugz In The Attic, Madlib, J Dilla, Kyoto Jazz Massive, Jazzanova, Matthew Herbert und andere.

Die Plattenfirma Blue Note feierte 2004 diese „Aufbereitung“ ihrer Archivschätze durch die „moderne DJ-Kultur“ – sie nannte sie ein „Re-Interpretieren, Re-Konstruieren, Re-Kontextualisieren“. Jazzkritiker waren dagegen eher skeptisch und bezweifelten, dass solche Remix-Aktionen irgendeine musikalische Relevanz hätten. Doch immerhin ist mancher alte Jazzgroove originell ausgedeutet, manches alte Klangbild witzig verfremdet. Vom Jazz bleibt allerdings wenig übrig. Die Ergebnisse wirken heute wie eine schon leicht angestaubte Bistro-Beschallung – oder auch mal wie „eine Mischung aus Stevie Wonder und Steely Dan“ (so ein Kritiker). Eine der gelungensten Aktualisierungen ist zweifellos das Albumcover von Blue Note Revisited. Man kann es gleichermaßen als Hommage an den Jazzer Donald Byrd wie an den Rapper Tone Lōc verstehen. Wieder ist es ein Jaguar E-Type, diesmal aber geschmückt durch das Fashion Model Tia Holland. Die schöne Edelkarre ist gleich auf sechs Fotos im Artwork zu sehen, die schöne Tia immerhin auf vier.

Albumdoppel: Donald Byrd / Blue Note Revisited

PS: Kürzlich startete man bei Blue Note einen Selbstversuch. Man wollte herausbekommen, was die eigentliche Verbindung zwischen Donald Byrds Gospel-Hardbop und einem Jaguar E-Type sein könnte. Ein Mitarbeiter fuhr den Jaguar (allerdings nur in einem Videospiel) und hörte dazu das Album. Der Testbericht auf der Internetseite ist ausführlich, aber unergiebig: „Ich beschleunige auf 135 Meilen pro Stunde im vierten Gang, bevor ich aus der Kurve fliege.“

Donald Byrd – A New Perspective bei Sieveking Sound

Blue Note Revisited auf Discogs

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