Ellington Revisited
Das Spätwerk von Duke Ellington (1899–1974) gehört leider nicht zum Standardprogramm des Jazz. Dennoch gibt es hörenswerte Neuinterpretationen von Money Jungle, Far East Suite oder The River.
Dutzende von Stücken aus dem Repertoire des Duke-Ellington-Orchesters sind zu „Standards“ geworden. Die Jazzfans kennen die Titel: „Take The A Train“, „Caravan“, „Sophisticated Lady“, „The Mooche“, „Perdido“, „Mood Indigo“, „Solitude“, „In A Mellotone“, „Prelude To A Kiss“, „Cotton Tail“ … und so weiter. Alle diese Stücke stammen aus den 1920er bis 1940er Jahren, als Ellingtons Orchester zu den stilprägenden Bands des Jazz gehörte. Weit weniger bekannt sind Ellingtons Schöpfungen aus den 1950er bis 1970er Jahren, als er zwar ein „Klassiker“ des Jazz war, aber bei der Weiterentwicklung dieser Musik nicht mehr in der ersten Reihe stand. Cool Jazz, Hard Bop, Free Jazz oder Fusionjazz zehrten von Ellingtons Vergangenheit, benötigten aber nicht seine Gegenwart. Andererseits gingen diese Strömungen an Ellington selbst nicht spurlos vorüber. In den 1960er Jahren öffnete er seine Orchestersprache fantasievoll den Einflüssen der Worldmusic sowie neuen Instrumentalfarben (Flöte oder Hammondorgel). Er präsentierte sich außerdem abenteuerlustig als Pianist und machte Combo-Aufnahmen sogar mit Modern-Jazz-Musikern.
Neuinterpretationen von Ellingtons späten Werken sind selten. Eine der schönsten entstand 2007 durch die hr-Bigband: Money Jungle (hrmj 041-09).
Das Original von 1962 war eine ganz unwahrscheinliche Trioplatte mit dem Duke am Piano und den Bebop-Veteranen Charles Mingus (Bass) und Max Roach (Schlagzeug). Die Platte enthielt neben drei Ellington-Klassikern nur Stücke, die der Duke extra für dieses Projekt geschrieben hatte (mindestens acht). Das Trio zeigte dabei eine geradezu avantgardistische Wildheit. Alle elf (teils nur skizzenhaften) Stücke von Money Jungle hat der Arrangeur Jörg Achim Keller für die große hr-Bigband eingerichtet und gibt ihnen einen nostalgischen Ellington-Orchestersound. Der Posaunensatz übernimmt dabei häufig den Part von Ellingtons linker Klavierhand. Natürlich spielen die direkten Stellvertreter des Trios hier eine besondere Rolle: Peter Reiter (Piano), Thomas Heidepriem (Bass) und Jean-Paul Höchstädter (Drums). Die tollen Bläsersolisten der Band aber schlagen einfühlsame Brücken zwischen den Epochen, darunter Axel Schlosser (Trompete), Günter Bollmann (Posaune) oder die Holzbläser Julian Argüelles, Rainer Heute und Oliver Leicht.
Ellingtons bekanntestes Werk der 1960er Jahre war die Far East Suite, aufgenommen 1966. Der Duke und Billy Strayhorn waren bei der Komposition von den Eindrücken inspiriert, die sie auf zwei Asientourneen des Ellington-Orchesters gesammelt hatten (1963/64). Die Namen der neun Stücke enthalten Anspielungen auf Reisestationen wie Delhi, Amman, Beirut. Anders als die hr-Bigband gehen Leonhard Huhn (Altsax, Bassklarinette) und Sebastian Gramss (Bass) den Weg vom Großen ins Kleine: Ihr Album Duke Ellington’s Far East Suite (fixcel 0004) reduziert die Bigbandmusik verrückterweise auf eine nackte Duo-Besetzung.
Das Altsaxofon changiert dabei geschickt zwischen flötenleichten und geräuschhaften Klängen, der Bass sorgt für swingende Grooves. Einzelne Elemente der Originalstücke sind in Gramss’ cleveren Arrangements verändert, isoliert, verfremdet. Es gibt orientalische und mikrotonale Anklänge und freiere Soundgebilde – und von zwei Stücken („Blue Pepper“, „Bluebird Of Delhi“) auch zwei verschiedene Versionen. Der Begleittext spricht zu Recht von einem „stillen Großereignis“.
Die fünf Bläser der niederländischen Klassik-Formation Calefax widmeten sich 2005 ebenfalls der Far East Suite – sie halten sie für „eines der Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“.
Oliver Boekhoorn, der Oboist im Ensemble, schrieb die kunstvoll pointierten Bläser-Arrangements, während das mitbeteiligte Tony Overwater Trio (Tenorsax, Bass, Drums) ein authentisches Jazzfeeling beisteuert. Im zweiten Teil ihres Albums Ellington Suites (Jazz in Motion 75219) haben sich die Calefax-Musiker dankenswerterweise auch mit The River beschäftigt, einer ganz selten gehörten Ballettmusik, die Ellington für die Tanztruppe von Alvin Ailey schrieb (1970). Raaf Hekkema, der Altsaxofonist von Calefax, wählte als Arrangeur einen anderen Weg als sein Kollege – er schuf eine Art „jazznaher“ Kammermusik (ohne das Jazztrio dabei). Ellingtons Sohn Mercer soll The River übrigens für das beste Werk seines Vaters gehalten haben.