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Beethovens Walpurgisnacht

Große Fuge – Beethovens Walpurgisnacht

Hörstoff

Beethovens Walpurgisnacht

Vielfach unverstanden, vielfach bewundert: Beethovens Opus 133 gibt uns unmittelbar „das Gefühl des Außerordentlichen und des allergrößten Ernstes, so wie ihn kaum eine andere Musik überhaupt kennt“ (Theodor W. Adorno).

Der Geiger Karl Holz (1799–1858) hat das ganz geschickt gemacht. Im Auftrag von Beethovens Verleger überredete er den Komponisten, für sein Streichquartett op. 130 B-Dur einen neuen Schlusssatz zu schreiben. Beethoven bekäme dafür nicht nur ein Extrahonorar (12 Gulden), sondern der bisherige Schlusssatz, eine viertelstündige, schwer verständliche Fuge, würde zudem als separates Opus publiziert werden. Der völlig ertaubte Beethoven, sonst ein Starrkopf, war einverstanden. Seitdem ist die Große Fuge ein eigenständiges Werk: Opus 133. Doch in den ersten 50 Jahren ihres Bestehens wurde sie wohl nur 14 Mal aufgeführt – die Zeitgenossen fühlten sich von diesem Stück heillos überfordert.

Was haben die frühen Kritiker nicht alles über die Große Fuge geschrieben! Sie sei unverständlich wie Chinesisch, hieß es, verlange erhebliche Denkarbeit, führe in eine babylonische Verwirrung, sei Ausdruck einer kranken Fantasie und höchster Verirrung und allenfalls als „Augenmusik“ (also im Notenbild) akzeptabel. Das Bild von Beethovens Spätwerk war lange Zeit geprägt vom fehlenden Verständnis für die Große Fuge. In der Tat: Sie klingt zerrissen, sprunghaft, schroff und dissonant. Man könnte aber auch sagen: mutig, innovativ, prophetisch und fantasievoll. Adorno sprach von „avancierter Kühnheit“ und einem „Gefühl des Ernstfalls“. Strawinsky nannte sie „das perfekteste Wunder der Musik“.

Ein Thema von geradezu aggressiver Chromatik und eine strenge Doppelfuge im ungebärdigen Galopp … Die ersten fünf Minuten sind wie eine donnernde Spirale, aus der es kein Entkommen gibt. Das Universum droht zu zerspringen, die Harmonik wird zur leeren Hülle. Dabei hielt Beethoven das Fugenschreiben eigentlich für eine Technik von gestern. „Heutzutage muss in die althergebrachte Form ein wirklich poetisches Element kommen“, meinte er. Deshalb lässt er der Donnerspirale etwas weniger Strenges folgen, etwas Sanftes – und das Lyrische und das Galoppierende mischen sich dann immer mehr. Die Große Fuge ist quasi in einen Sonatensatz gekleidet, mehrteilig und kontrastreich – eine „Fuge plus“. Man verglich sie einmal mit der „Walpurgisnacht“ aus Goethes Faust. Eine legendäre frühe Digitalaufnahme machte das Melos Quartett 1985: Die späten Streichquartette (DG 415 676-2).

Beethovens Walpurgisnacht

Beethovens Verleger (Herr Artaria) hat sich wirklich bemüht. Er ließ von dem gewaltigen, schwierigen Stück sogar eine Klavierversion für vier Hände anfertigen. Und als der Komponist mit dieser nicht zufrieden war und deshalb eine eigene schrieb, bezahlte der Verleger auch sie. Beethovens Klavierversion – sie bekam die Opusnummer 134 – legt Wert darauf, dass die vier Stimmen streng auf die vier Hände verteilt bleiben. Für die Pianisten ist das nicht unbedingt ein Spaß. Manchmal gehe es „im wörtlichen Sinn drunter und drüber mit den Händen“, sagte Evelinde Trenkner (1933–2021). „An einer Stelle stehe ich auf, muss im Stehen spielen, sonst kommt meine Partnerin nicht mit ihren Händen drunter.“ (Der Pianist Stephan Möller hat diese Klippe umschifft, indem er mit einem computergestützten Konzertflügel duettierte.) Die grandiose Aufnahme von Evelinde Trenkner und Sontraud Speidel findet sich auf dem Album Beethoven (MDG 930 8061-6).

Beethovens Walpurgisnacht

Der Komponist hat es vorgemacht: Die Große Fuge lässt sich für andere Instrumente transkribieren. Seit 1906 (Felix Weingartner) sind eine ganze Reihe von Bearbeitungen entstanden – für Orchester, Streichorchester oder Orgel. Und sogar für Instrumente, die es zu Beethovens Zeiten noch gar nicht gab. Denn Strawinsky meinte einmal, die Große Fuge sei in jedem Jahrhundert „zeitgenössische“ Musik. Michael Ruf, Tenorsaxofonist im Deutschen Saxophon Ensemble, meint: „Es wäre im 21. Jahrhundert an der Zeit, diese zeitgenössische Musik auch mit dem zeitgenössischen Musikinstrument Saxofon als adäquatem Medium zu vermitteln.“ Ruf selbst hat Beethovens spätes Meisterwerk für sein Saxofonquartett arrangiert. Und siehe da: Die Große Fuge beginnt zu singen und zu tanzen! Nachzuhören auf dem Album Aus den Fugen geraten  – All about Fugues (Spektral SRL4-09065). Und das alles ganz im Sinne des großen Beethoven: „Die Kunst will es von uns, dass wir nicht stehen bleiben.“

Beethovens Walpurgisnacht

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