Album-Doppel: Slade/Armitage Shanks
Chas Chandler wurde bekannt als der Bassist von Eric Burdons Animals. Als die Animals 1966 zerbrachen, erklärte er sich zum freien Produzenten.
Chandler war es, der das Gitarrenwunder Jimi Hendrix entdeckte und ihm zwei englische Musiker zur Seite stellte. Er wurde Hendrix’ Produzent und war immer überzeugt davon, er wisse am besten, was für seinen Künstler gut sei. Hendrix’ Songs kürzte er im Studio auf drei bis vier Minuten zusammen – bis sich der Musiker das nicht mehr gefallen ließ und ihn feuerte. Im gleichen Jahr (1969) hörte Chandler in einem Londoner Studio eine junge Band, die sich „Ambrose Slade“ nannte. Obwohl die Jungs aus dem Kohlerevier („Black Country“) bislang ziemlich erfolglos waren, glaubte Chandler an ihr Potenzial und machte sie zu seinem nächsten Projekt. Er legte den Musikern nahe, ihren Bandnamen zu „Slade“ zu verkürzen, verordnete ihnen einen Skinhead-Look, ließ einen ihrer Instrumentalsongs betexten, produzierte ihr nächstes Album. Aber nichts brachte kurzfristig Erfolg.
Chandler glaubte dennoch weiterhin an seinen Riecher. Nun schlug er der Band einen Little-Richard-Song vor – und siehe da: Sie hatten ihren ersten Top-20-Hit. Dann verordnete er den Musikern einen Glamrock-Look mit wilden Kostümen und Make-up. Noddy Holder, der Sänger, trug meist einen karierten Dress mit Cape und Hut. Dave Hill, der Gitarrist, bevorzugte silbrig glitzernde Overalls. Das Wichtigste aber war (laut Chandler), dass sie sich eigene Songs schreiben sollten, um eine Band-Identität zu entwickeln. Daraufhin versuchte sich der Bassist, Jim Lea, am Komponieren – er war (auch äußerlich) der Bravste von ihnen. Noddy Holder schrieb dazu die Lyrics. Ihr erster eigener Song – „Coz I Luv You“ – wurde überraschenderweise ein Nummer-eins-Hit im UK. Und damit begann eine der erstaunlichsten und plötzlichsten Erfolgsgeschichten, die die Rockwelt kennt. Slade platzierten – angefangen bei dem Little-Richard-Song – 17 Singles in ununterbrochener Reihenfolge in den britischen Top 20. Slade hatten im Vereinigten Königreich sechs Nummer-eins-Hits, drei weitere Songs auf Position zwei, zwei auf Position drei. Sie waren nach Singleverkäufen gerechnet die erfolgreichste britische Band der 1970er Jahre.
Sie hatten auch drei Nummer-eins-Alben – Slayed? war das erste davon. „To slay“ bedeutet so viel wie „erschlagen“. Das Perfekt müsste „slain“ heißen, aber das Wortspiel „slayed“ passte gut zur anarchischen Straßen-Orthografie, die ein Kennzeichen der Band wurde („crazee“, „noize“, „wot“, „pleeze“ usw.).
Der New Musical Express nannte Slayed? eines der größten Rockalben aller Zeiten. Für den Guardian waren die zehn Songs darauf lauter „Party-Riff-Monster“. Die erste ausgekoppelte Single hieß Mama Weer All Crazee Now und war inspiriert vom Anblick der zerschmetterten Sitze in der Wembley-Arena – nach einem wild bejubelten Auftritt der Band. Die zweite Single aus dem Album hieß Gudbuy T’Jane, es war ein Schnellschuss am Ende einer Aufnahmesession – die Band hatte das Stück vorher nie geprobt. Die beiden Songs erreichten Platz eins und Platz zwei in den UK-Charts. (In Deutschland: Platz sechs bzw. drei.)
Slades Glam- und Glitterrock wurde zum populärsten Sound der frühen Siebziger – eine Mischung aus Hardrock und Rock’n’Roll, mit Fuzz-Gitarre und Boogie-Rhythmus, unbedingt tanzbar und zum Mitsingen. Auch The Sweet, Wizzard, Mud, T. Rex, Suzi Quatro, Gary Glitter oder Roxy Music gehörten damals zu dieser Szene. Slade besaßen aber obendrein diese grobe „street credibility“ – sie beriefen sich auf das Arbeitermilieu. Der Wheeling Herald in den USA schrieb: „Slade sind Punk – Straßenrock von seiner besten und lautesten Seite.“ Ein gutes Vorbild also für die „echten“ Punkbands, die ein paar Jahre später aufkommen sollten.
Armitage Shanks, 1991 gegründet, gehörten bereits zur dritten oder vierten Welle des Punk. Auch sie kamen aus der englischen Provinz: „Das Epizentrum der Revolution ist Wrotham“, meinten sie. Großen Erfolg hatten sie nie, aber einen gewissen Kultstatus im Underground. Die Presse nannte die Shanks „eine Punkband im pursten Sinne“. Wie unter Punkern üblich, wählten sich die Musiker sprechende Pseudonyme. Der Gitarrist nennt sich „Rod Vomit“, der Bassist „Serge Dirtbox“ – sie sind keine Virtuosen. Ironisch schreiben sie über sich selbst: „Nichts konnte sie stoppen. Sie spielten in London manchmal sogar vor mehr als 20 Leuten, dann gingen sie auf ihre erste (und einzige) UK-Tournee, tranken sich ihren Weg durchs Land. Sie verspotten die Musikindustrie. Akkorde, Gitarrensaiten, Saitenstimmung und die Musik selbst sind völlig irrelevant.“
Die gut gelaunte Wurstigkeit spürt man auch auf dem Coverfoto ihres Albums Urinal Heap. Dass das Wort „Shanks“ sechs Buchstaben hat und nicht recht auf die fünf Finger einer Hand passen will, scheint die Musiker nicht zu stören.
„Vic Flange“, der Drummer, links im Bild, ahmt Noddy Holder nach, trägt Perücke, Halstuch, ein buntes Hemd und im Gesicht ein schiefes Grinsen. „Rod Vomit“, rechts im Bild, hat wie sein Gitarrenkollege Dave Hill den Oberkörper freigemacht. Musikalisch dagegen sind keine direkten Bezüge zu Slade oder anderen Kollegen zu entdecken. Der Titelsong allerdings – der sechzehnte und letzte auf dem Album und rein instrumental – trägt einen (nicht gerade höflichen) Bezug wenigstens im Namen. Jeder Rockfan erkennt hinter „Urinal Heap“ die Band Uriah Heep. Der Begriff „Urinal Heap“ passt außerdem zum Bandnamen „Armitage Shanks“ – so heißt nämlich eine altehrwürdige englische Firma für Sanitäranlagen.
Armitage Shanks – Urinal Heap bei Damaged Goods